Wir leben in Zeiten des Umbruchs. Man kann es sogar noch eindringlicher formulieren: wir leben in einer historischen Periode, die, wenn es solche in der Zukunft noch geben wird, ganz sicher in unsere Geschichtsbücher eingehen wird. Aus ihrem privaten Leben kennen die meisten Menschen Perioden des Umbruchs. Sie sind meist nicht angenehm oder herbeigesehnt, aber sie sind notwendig, sie sind Teil des Lebens. Um mit solchen Phasen des Umbruchs, sei es im Privat- oder im Berufsleben, umzugehen, gibt es zwei Strategien:
Die eine Strategie, die eigentlich gar keine ist, denn sie kann überhaupt nicht zu einem Erfolg führen, besteht darin, das Problem zu leugnen, neue Ideen und Einflüsse zu verdammen, die Verteidigung und Bewahrung des alten Zustands zur Top-Priorität zu machen. Die andere besteht darin, sich dem Umbruch zu stellen, die neuen Trends zu analysieren und eine Antwort zu erarbeiten, die den sich verändernden Gegebenheiten entspricht.
Was Europa betrifft, geben sich hier in Deutschland viele Politiker und Meinungsmacher der Illusion hin, dass die erste Alternative eine gangbare Strategie darstellt. Am 13.1.2009 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Kommentar mit dem Titel „Falsche Europäer“ und folgenden Aussagen:
„Die Gegner Europas sammeln ihre Truppen. Das irische Nein zum Reformvertrag hat ihnen Auftrieb gegeben. Nun werden sie es wohl wagen zur Europawahl in sechs Monaten anzutreten – der aus obskuren Quellen finanzierte Anführer der irischen Antieuropäer Declan Ganley ebenso wie jene, die dem tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus nahe stehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die EU-Feinde als einheitliche, europaweite Bewegung antreten oder aber als regionale Gruppen…
… Der Tscheche und der Ire, die sich schon trafen, betreiben einen viel raffinierteren Kurs. Sie beanspruchen, die wahren Europäer zu sein, die sich gegen die Bevormundung aus Brüssel stemmen und für Demokratie und Transparenz kämpfen. Wer wie sie den Reformvertrag von Lissabon ablehnt, der macht sich nicht um Demokratie und Transparenz verdient, sondern verhindert sie vorsätzlich. Ihr eigentliches Ziel ist, die Integration Europas zu sabotieren. Klaus und Konsorten sind nicht um die Freiheiten Europas besorgt; sie kämpfen für den Nationalstaat alter Prägung….
… Noch ein Irland kann sich die EU nicht leisten.“
Wenn man davon ausgeht, dass es sich in diesem Kommentar nur um eine Auseinandersetzung mit den Aktivitäten von Ganley und Vaclav Klaus und Ganley’s Partei „Libertas“ handelt, dann ist dagegen nicht viel einzuwenden. Fatal ist allerdings, dass in diesem Denken Europa mit Lissabon gleichgesetzt wird. Jeder Gegner des „Reform“-Vertrags von Lissabon ist hier ein Gegner Europas und diese Gegner gilt es zu bekämpfen. Noch fataler ist es, dass bei der Auseinandersetzung mit Libertas Ausdrücke wie „einheitliche, europaweite Bewegung“, „wahre Europäer“, „Demokratie und Transparenz“ verwendet werden. Man könnte fast glauben, dass man versucht, Libertas und Newropeans in einen Topf zu werfen und, dass man dadurch um eine Auseinandersetzung mit den Positionen von Newropeans herumkommt?
Jede Demokratie braucht eine Alternative, braucht eine Opposition, braucht Bürger, die sich für ihre Belange einsetzen und ihre demokratischen Rechte einklagen. Nur für Europa soll dies nicht gelten. Wer nicht für Lissabon ist, ist gegen Europa. Wer gegen die derzeitige Führung ist, der stellt Europa in Frage.
Es ist traurig zu sehen, wie unflexibel und festgefahren unsere derzeitige politische Elite ist. Und es zeigt auch, wie wichtig und dringend notwendig es war, Newropeans mit seinem Programm der demokratischen Alternative für Europa aufzubauen.
Christel Hahn*
Tengen, Kreis Konstanz