Salem wurde nach dem ersten Weltkrieg vom letzten Reichskanzler Prinz Max von Baden und seinem Sekretär Kurt Hahn gegründet, um nach dem Scheitern der alten kaiserlichen Eliten eine neue Elite zu erziehen. Dies hat nicht funktioniert (und kann auch nicht funktionieren). Jedoch bietet Salem etwas sehr wertvolles: Gemeinschaftsleben für Jugendliche in einer Zeit, in der dies immer wichtiger wird, eine stabile Umgebung für Heranwachsende aus teilweise sehr problematischen Familien (nicht vom unteren Rand des sozialen Spektrums, sondern vom oberen Rand: „d’Schlossschueler, de stinket vor Geld“, wie der Volksmund im Salemer Tal schon immer wusste) und eine enorme Integrationsleistung für ausländische Schüler (China, Russland, …).
Ich habe Salem vor der Ära Bueb für knappe vier Jahre besucht und dort 1971 Abitur gemacht, auch mein Vater und weitere Familienmitglieder waren in Salem, mein Vater, der dann zu meiner Schulzeit Elternbeirat war, noch zur Zeit von Kurt Hahn (mit dem wir nicht verwandt sind). Als Schüler haben wir uns in den späten sechziger Jahren mit „Schulreform“ beschäftigt (was schließlich dazu führte, dass Raucherecken eingerichtet wurden und die Mädchen auch Hosen tragen durften …). Zu dieser Zeit litt Salem sehr an der Auszehrung durch den zweiten Weltkrieg: es fehlte schlichtweg (wie auch in den staatlichen Schulen) an Lehrern und Mentoren, und viele, die wir hatten, waren wie unsere Eltern durch den Krieg traumatisiert. In dieser schwierigen Situation habe ich immer den Einfluss der „Altschüler“ als sehr extrem und unproduktiv empfunden: man hat seine eigene Schulzeit nicht richtig verarbeitet, man hat vielleicht im Leben auch nicht das erreicht, was man sich erträumt hat, aber man weiß ganz genau, was für Salem gut ist: nämlich das, was dem idealisierten Bild der eigenen Erinnerung entspricht.
Das neue Salem wird nicht das alte sein. Es kann es auch gar nicht. Jedoch verdient es die junge Generation, dass man ihr den Raum gibt, sich neu zu erfinden.
Was die aktuelle Diskussion betrifft, möchte ich noch auf zwei Aspekte hinweisen: neben den Altschülern gab es immer noch einen anderen egoistischen Einflussfaktor: das markgräfliche Haus. Durch die Übergabe des Schlosses an den Staat hat sich das Blatt gewendet. Weiterhin: als Reaktion auf diese Einflussnahme wurde in der Ära Bueb der Standort Überlingen gebaut, dies hat aber trotz hoher Investitionen nie funktioniert. Vielleicht kann sich jetzt sogar noch ein Bogen schließen: der Staat hat in der Säkularisierung der Mönchsgemeinschaft der Zisterzienser Salem weggenommen und es aus machtpolitischen Gründen dem markgräflichen Haus gegeben.
Und: Schulgründer sind weder Heilige noch Ikonen. Die Rolle von Leitern, Lehrern und Mentoren sollte in jeder schulischen Gemeinschaft kritisch hinterfragt werden. Die Leistung von Max von Baden und Kurt Hahn waren die Auswahl des Standortes im Salemer Tal und in Anlehnung an Plato der Entwurf einer selbstbestimmten schulischen Gemeinschaft.